Gesundheit

Die Ähnlichkeit von irgendwelchen Personen im Text ist rein zufällig. Nur Dr. Mies weiß, dass er es ist. Oder er weiß es eben nicht. Ich hoffe aber, er kotzt sich die Leber dunkelblau!

Taxi. Ich fahre. Unterwegs sind drei Gestalten mit Krone auf dem Kopf im Stechschritt über das Kopfsteinpflaster schreiten zu sehen, die dabei den zerklüfteten Opa Abraham aus der Nachbarswohnung an einem Bungy-Seil hinter sich herziehen. In der Ferne schnattern Wildgänse, aufgeregt über das Bild, das sich drohend vor ihnen aufgebaut hat. Rechts sind ehemaligen sowjetischen Kasernen mit Metallgittern bewehrt, die von ihrer Verlassenheit künden |und nach der noch nicht auf der Bildfläche erschienen Abrissbirne lechzen. Links sind zermürbte Wiesen und vom sauren Regen zum Tod ragende Bäume. Dahinterstehende Häuser haben von der Pracht der vor ihnen liegenden Straße genug und wollen sich durch einen Einsturz aus dem Staub machen. Aber noch schimmert hinter ihren Austrittslöchern Licht, in dessen Schatten eine verknöcherte Hexe versucht, ihren Sudkessel wieder aufzurichten. Es tropft vom Himmel, als wäre Melchior gerade angestochen worden und nun farbloses Blut aus seiner Arterie spritzt. Dann verfestigt es sich, so dass die nun mutierten Regentropfen wie Hagelkörner auf die Erde hinabprasseln.
Ich wende mich wieder ab; bemerke dafür, …

Aber ich steige aus; ich muss aussteigen, denn ich bin ja bestellt bei dem Orthopäden da drin und trage mich außerdem mit der Hoffnung, dass mein Rollator mich festhält bzw. ich  mich an ihm und dann schnell weglaufen kann. (Eine trügerische Hoffnung? Mache ich mir selber bloß was vor?) … Ich steige aus.
Doch kaum stehe ich neben dem Auto, …

Plötzlich stehe ich in einem Raum. Gerade stand ich doch noch draußen! Wo es bitterkalt war, während es hier drin anheimelnd warm ist. Wo es stockfinster war wie im Schamhaar des Kinderköpfe zermalmenden Graubären. Hier ist es fast schon gleißend hell wie im Zentrum eines Gewitterblitzes und doch von angenehmer Helligkeit wie auf dem Kissen einer Kurtisane im stillen Kamasutra. Ja, draußen rasten noch die 3 Köpfe des Zerberus im Wettstreit auf mich zu. Hier biegt eine Schwester um die Ecke, die atemberaubend ausschaut und deren Stimme ein solch schönes anmutiges Glockengeläut in sich birgt, so dass man gar nicht erst auf den Gedanken kommt, ihr gegenüber irgendwelche sexuellen Avancen zu hegen – obwohl man sich bestimmt glücklich darüber fühlen würde, der von ihr Begehrte zu sein. Nein, man lauscht einfach nur ihren Worten und läßt sich umhüllen von dem Licht – weil sich dadurch die eigenen Zellen wieder ausweiten können – und der guttuenden Wärme und …

     Doch die Schmerzen sind immer noch da, als …

Er kommt herein. Man sieht ihm an, er hat es eilig, hastet bestimmt von Behandlungszimmer zu Behandlungszimmer; ist dabei so unstet wie damals der Vorsitzende der NSDAP, der in seinem Wahlkampf auch von Ort zu Ort eilte, niemals richtig zu fassen war; nicht einmal Mordanschläge konnten ihn erreichen. Aber hier: Dr. Mies, der nun …

Jetzt will er wissen, warum ich zu ihm gekommen bin. Also erzähle ich ihm von den Problemen in der linken Schulter, dann von denen in der rechten Schulter: „Die kamen durch einen Sturz. Ich bin da wg. Übermüdung der Länge nach hingeflogen auf den ausgestreckten rechten Arm. Also wahrscheinlich überdehnt.“ Und füge noch hinzu, dass diese Schulter sich bereits in Heilung befinde. Ich messe ihr also nicht soviel Bedeutung zu; trage mich aber mit der Hoffnung, dass er Akupunktur drauf setzt. Denn Dr. Mies praktiziert diese und ich selber steh nicht so auf chemische Keulen.
     „Auch gibt es Probleme im linken Mittelfuß“, fahre ich dann fort. „Der Verkehrsunfall 2005. Deswegen habe ich eine Fußfehlstellung und dort laufend Blockaden und Schmerzen.“
     Ich will ihm jetzt auch von meinen Beschwerden im Rücken - im Lendenwirbelbereich - erzählen, doch er steht auf, fasst an meine linke Schulter und würgt somit jeden weiteren Bericht ab.
Er lässt mich die rechte Schulter abspreizen, den Arm dabei mit der Hand nach unten anwinkeln, dann muß ich mit der Schulter Aufwärts- und Seitwärts- und Drehbewegungen machen, während er schwach meinen Unterarm nach hinten drückt. Anschließend erfolgt dasselbe mit links.
  „Ist doch alles okay! Sie können doch alle Bewegungen ausführen und das ohne Probleme.“

 „Un mei Mittfuß?“, kann ich es noch nicht fassen, was er mir gerade gesagt hat. Und sehe plötzlich, wie auf seiner Stirn eine Titulierung aufblinkt: Patient 2. Klasse

Vor der Tür dreht er sich noch einmal um: „Warum sind Sie überhaupt hier? Bei Ihnen ist doch alles in Ordnung!“
Ich Böser ich! Ich herzloser ich! Wie konnte ich nur die kostbare Zeit des armen Dr. Mies rauben? Er hat doch gar nichts an mir verdient, er konnte gar nichts an mir verdienen! Ich bin schuld daran, dass er mit seiner Frau nicht in den Urlaub auf die Malediven oder nach Barbeidos oder nach Indien – ach nein, Indien nicht, da ist zuviel Elend; das ist doch nichts für die Augen von Doktor Mies -, also an die Côte da Zure fahren kann. Und seine Frau? Die wird ihm das nicht danken; sie sucht sich nunmehr jemanden, der ihr das bieten kann. - Bin ich also ein Ehebrecher? -  Und Dr. Mies der landet im Schuldenturm. Wegen mir! Ich … ich … ich bin schuld! Bin ich jetzt ein Verbrecher?
....