Beschluss
Heinz.
In der Kneipe. Auf seinem üblichen Platz am Stammtisch. Schon 3l Jahre
geht er hierher, hat hier seine Saufbrüder Fritz, Erwin, Wolfgang
kennengelernt. Natürlich ist zwischen dem Inhalt der Biergläser und
Schnapsgläsern, der sich immer sehr schnell dazu aufrafft, sich mit dem
Wachpersonal der Lebern herumzuschlagen, eine sehr genau zu beachtende
Philosophie angesagt, die berühmte Biertischphilosophie. Bei der immer
über alles und jeden hergezogen wird, der anders ist als sie, nicht in
ihren Sauflook hineinpasst oder hineinpassen will.
Heute geht's um Behinderte. Fritz hat am Mittwoch welche gesehen, darum folgt jetzt die große Betrachtung.
"Die sind doch ständig besoffen!", krakeelt Erwin.
"Die meisten sind doch nur Simulanten!" Fritz.
"Meinst du nicht, dass das keine Mu...- Mu... - wie heißt doch dieses scheiss Wort gleich?" Erwin wieder.
Fritz zuckt mit den Schultern.
Heinz hat die Frage gar nicht mitbekommen, sinnt über den Wert des Krüppeldaseins nach. Aber …
Als der Laden dicht gemacht wird, schaukeln sich die vier noch bis zur gemeinsamen Kreuzung, dort trennen sich ihre Wege.
Heinz wankt weiter. Plötzlich muss er Wasser lassen. Er stellt sich
dazu mitten auf die Strasse, legt los. Auf einmal hört er hinter sich
ein starkes Hupkonzert. Er versucht, sich um 180° zu drehen, aber es
misslingt ihm. Er stürzt hin. In die Richtung, aus der das Hupkonzert
kam.
Auf einmal durchfährt in ein beißender Schmerz. Und dann wird es schwarz vor seinen Augen.
Ein Truck hat ihn angefahren.
Doch Heinz …
Das Heideröslein
Ein Krankenhauszimmer. Es riecht penetrant nach
Desinfektionsmittel, ein Schlager von Roland Kaiser „Jane“ wird
abgespielt. Ein Patient liegt da mit Zwangsjacke, ein Spiegel vor ihm.
Seine Augen flattern, sie öffnen sich nach einer Weile. Er schaut sich
mit fragendem Blick um, dann in den Spiegel, nun wird sein Blick
ungläubig und angstvoll. Er dreht sich um die eigene Achse verkehrt
herum im Bett, um dem Spiegel näher zu sein, schaut hinein und
schüttelt den Kopf, schließt die Augen – langsam -, öffnet sie wieder,
schließt sie, öffnet sie wieder, fängt an, betrübt vor sich
hinzustarren. Die Ungläubigkeit im Blick bleibt; seine Stirn runzelt
sich, Grauen hält in seinem Gesicht Einzug.
Die Tür öffnet sich, die
ersten Fäden eines .üblen Gestankes ziehen auf, der traurige Blick von
Mike Scholz will sich zur Tür wenden; er muss jedoch erst wieder die
Ausgangslage einnehmen, um die Tür zu sehen. „Jane“ endet hier, “Sieben
Fässer Wein“ beginnt. Ein Bekittelter tritt herein, trägt kariertes
Hemd und karierte Hose, dazu ein gelbes Halstuch, keinen Kittel und
keinen Ohrring (keinen Schmuck), hat Stoppelfrisur und setzt sich mit
der Mimik eines Dompteurs, der ein Wildtier bändigt, und verächtlichem
arroganten Lächeln auf den Lippen jovial aufs Bett. Stellt sich
vor „Guten Tag!“ Der üble Gestank verstärkt sich. - „Ich bin Frederic
Schwofer und der für sie hier zuständige psychiatrische Arzt. ...“
„Warum bin ich hier?“, unterbricht ihn der Patient. Dabei schaut er ihn zweifelnd an.
„Sie
sind hier, weil Sie Ihre Frau ermorden wollten. Und stecken in der
Zwangsjacke, weil sie gegenüber den Ihre Frau retten wollenden
Polizeibeamten handgreiflich geworden sind. Ebenso wie gegenüber den
hiesigen Sanitätern.“
„Oh, tut mir traurig! Ich bin sehr reuig!“ Und rückt auf Dr. Schwofer zu.
In
dem Moment taucht Mike seine Frau im Schneidersitz auf dem Bett sitzend
vor ihm auf, starrt ihn vorwurfsvoll an und schreit monoton lang
anhaltend. Danach verschwindet sie wieder. Nur ihr Parfümduft schwebt
noch deutlich riechbar im Raum.
Mike Scholz schaut sehr traurig und bedrückt auf die Stelle, wo sie saß.
Dr.
Schwofer öffnet indessen die Zwangsjacke und rückt nun noch näher. Der
Parfümgeruch ist verflogen. Der üble Gestank wird dafür noch stärker;
Mike rümpft schon die Nase, will wegrücken, bleibt dann jedoch liegen,
rückt nur den Kopf etwas ab, während kurz ein angewiderter Ausdruck
über sein Gesicht huscht.
Dr. Schwofer öffnet wieder den Mund (der
Gestank verstärkt sich): „Warum wollten Sie denn Ihre Frau ermorden?
Was hat Sie Ihnen denn getan? Gibt es keine bessere Lösung?“
Der
Patient rückt erleichtert ab (Gestank ist wieder weniger geworden, als
Dr. Schwofer den Mund wieder schloss), wenige Millimeter, verharrt dann
und kündigt an, dass er es in Form von Fabeln erzählen wird.
…
Der
Skorpion spürt, wie er wieder Luft bekommt, das eingeströmte Wasser
irgendwo seinen Mund wieder verlässt, der Schimmer vor seinen Augen
verschwindet. „Ätsch, ich bin eine Amphibie“, merkt er sofort und
schreit es aus. Zwar hört ihn niemand, aber der Skorpion ist
bereit für das nächste Abenteuer.
Dort vorn sind zwei Stangen, die
hinab in die Tiefe führen. Er hofft, dass sie ihn in das El Dorado der
Stürme führen, schwimmt deswegen hin, erreicht sie mit ausgestreckten
Armen und rutscht an ihnen herunter.
Doch er rutscht nicht
allein: Vor ihm thront eine Frau, wieder mit übereinander gekreuzten
Pedipalpen wie auf einem fliegendem, jetzt aber in der Luft stehenden,
Teppich; nur eben dieser Teppich fehlt. Und sie schreit. Nichts
verschluckt diesen Schrei, Sie schreit.
Die mit dunkelbläulichem Schimmer versehenen Pedipalpen, die überaus …
Er
lässt seine medialen Augenpaare umherkreisen. Will sie umherkreisen
lassen. Doch ... zuerst muss er die Ausstülpungen der Buchlungen
rümpfen. Nach Salpeter riecht es, dem ein schimmliger Modergeruch
anhängt; der Klang eines rhythmischen Schlagzeuges erfüllt die Luft,
begleitet und verstärkt durch einen Chorus, der geschaffen wird von
einer geordneten Aufstellung winziger Menschen, die im Gleichschritt
vor dem imaginären diensthabenden Kapitänleutnant schwadronieren. Er
schaltet auf die Punktaugenpaare um, deren Blicke hängen bleiben an dem
dunklen von ockerbraunen Spinnweben verhangenen Raum, der rauchig
beseelt und mit orangenen Girlanden geschmückt ist; sie wandern weiter
und starren auf einen Oktopus in schwarzer SS-Uniform, der dem Chorus
in die Mitte geworfen scheint; der dort versucht, sich der Aufstellung
laufend in den Weg zu stellen, und seine mit marineblauen Saugnäpfen
besetzten Tentakel schwingt und diese dabei wie ein freier Bussard
ausbreitet, womit er weite raumausfüllende Schwingen mimt.
Der
Skorpion aber ... alles ist verschwunden aus seinem Blickfeld ... er
starrt auf ein menschliches weibliches Wesen, das kurze brünett lockige
Haare hat, ein hübsches Antlitz vor sich herträgt, deren Brüste sich um
den Raum an ihrem Brustkorb streiten, ... Sie bleibt jetzt stehen,
reckt ihren rot glühendem Stab, der Anfang nimmt zwischen ihren Beinen,
lang ausgestreckt in die Höhe und fordert ihn damit auf, zu ihr zu
kommen. Hinter ihr ... der Oktopus ist wieder aufgetaucht – dieser
macht keine Bewegungen mehr, hat seine Abschlussstellung gefunden,
indem er eine Geste macht, die aussieht, als wöllte er seine Brust
aufreißen. Währendessen marschiert die Aufstellung um ihn herum. Der
Skorpion schreitet in die Richtung. Doch wie ein Hindernis steht das
weibliche Wesen dazwischen. Ihr rot glühender Stab, der immer noch
aufgerichtet ist, ihn wieder beeindruckt, seine Gonaden auch zum
Vibrieren bringt. Er schreitet voran. Trotzdem. Deswegen. Seine Frau
taucht wieder vor ihm auf, belegt seine medialen Augenpaare mit ihrer
Erscheinung, bis zum letzten Winkel, bedrohlich. Und schreit. Dieser
Schrei ... nichts verschluckt ihn. Doch er schreitet weiter. Ungeachtet
dessen. Und erreicht das andere weibliche Wesen.
Doch kurz vor ihr …
"Krimskrams!
Kleider, Schmuck, Schminke - das ist doch kein Krimskrams. Du willst
doch selber, dass ich mich schön anziehe, mich schminke und schmücke,
attraktiv aussehe! Aber nein, ja nichts dafür bezahlen. Leg dir doch
'ne kostenlose Nutte zu!"
Auf einmal umspielte ein süffisantes Grinsen seine Lippen: "Darum hab ich dich doch geheiratet."
Nun wurde sie von einem noch größeren Weinkrampf befallen. Der nicht abebben wollte und sie Stück für Stück auflöste.
Was
soll das? Ich bin nur seine Nutte, mehr nicht? Ich wollte geliebt
werden und nicht als Benutzungsobjekt abgegolten sein. Ich lebe für
ihn, liebe ihn, will alles tun für ihn, doch wenn er so weiter macht,
dass er aus tiefestem Herzen so egoistisch ist, so rücksichtslos, so
brutal zu mir, seine Ellbogen auch hier zu Hause draußen lässt, kann
ich bald nicht mehr, ist die Schmerzgrenze erreicht!
Sich keinerlei Gedanken darüber machend …
… habe meine Frau umgebracht.“
„Schluck!“ Ich ziehe ungläubig die Augenbrauen hoch.
„Ich
hatte eine andere kennengelernt. Und meine Frau – die wusste natürlich
nichts davon. Hätte auch niemals in ihr Bild und in das ihrer buckligen
Verwandtschaft gepasst, wenn rausgekommen wäre, dass man sie im Bett zu
nix gebrauchen konnte, sie immer Kopfschmerzen hatte. Nein, sollte sie
ihr platonisches Dasein doch alleine fristen. Allerdings – mich von ihr
scheiden lassen – das ging auch nicht. Denn wie hätte ich denn da vor
meinen Kollegen und vor der hinter ihren Fensterscheiben stehenden
Nachbarschaft ausgesehen?: `Erst macht er seine Frau zum
Krüppel, dann verlässt er sie.` Nein, nein! Das war unmöglich!
Völlig unmöglich. Außerdem: Sie hatte das Geld, soviel Geld; ohne sie
hätte ich nicht meine Praxis aufbauen können, ohne sie müsste ich
meinen Lebensstandard beschneiden. Nein, nein! Das war unmöglich!
Völlig unmöglich.“
„Schluck!“ So langsam muss ich mich fragen, ob er nicht besser hier liegen sollte.
„Meine
Frau musste also weg, und das ging nicht auf normale Weise. Sie müssen
doch zugeben, mit so was kann man nicht zusammenleben.“
„Sie war ein
Krüppel? Durch ihr Zutun? Wieso ´n das? Inwiefern?“ Sie war behindert?
Passt gar nicht zu ihm. Aber dadurch ist doch schon festgelegt, auf
welcher Seite ich stehe.
Geht er darauf ein? Fängt es an, ihm zu
dämmern, was für eine Schuld er auf sich geladen hat? Nein! Nein! Nein!
Seine Erinnerungen schweben jetzt in einem imaginären Heiligenschein um
seinen Kopf und machen ihn zu Herr Allmacht, der über das Wohl und Weh
seiner Umgebung entscheiden darf.
„Sie musste weg“, muss er sich
selbst immer wieder einreden, denn von mir kann er keine Zustimmung
erwarten, „damit sie nicht noch dahinter steigt und mich enterbt.“
Seine Augen fangen an zu glänzen, während sie irgendetwas in der Ferne
betrachten; ein verklärtes Lächeln lässt den Strich in seinem Gesicht
dicker erscheinen; seine Brust hebt sich, zeigt auf, er ist mit der
Welt und sich selbst zufrieden.
Nach einer langen Weile fährt er fort, langsam gedehnt, weiterhin verklärt in die Ferne schauend: „Ja, …
Depression
In
Neuseeland, in Auckland. Hier, in einer Schule, ich sitze. Vorhin bin
ich aus dem Unterricht gegangen, weil ich mich auf nichts mehr
konzentrieren kann. Ich will ... ich will mich auf nichts mehr
konzentrieren. Unmöglich, ja! Stimmung: Mir ist alles egal. Alles, jede
kleinste Begebenheit! Heute. Ich finde alles zum Kotzen. Heute. Ich
schreie ständig aus mir heraus: "Scheiße, Scheiße, Scheiße!" Doch auch
das hilft nicht mehr. Denn der geht es besser als mir. Heute. Nur?
Tröstende Worte, aufbauende Worte, erregende Worte,…
Eine
Lehrerin sagte mir hier, dass deswegen niemand mit mir rede, weil … äh,
was soll das?! Nur selten, zu selten. Ich bin der Ausgestoßene, der
Abgewiesene, der Zu-Entfernende. Logisch, …
Diskriminierung!
Alter: 24
Er
geht durch die Straßen, durch die Straßen einer Stadt, in der er schon
seit 21 Jahren lebt. Doch scheinbar kennt ihn hier keiner. Denn von
überallher schallt es unhörbar und doch überdeutlich: besoffen,
besoffen, besoffen ...
Vor drei Jahren war es noch ganz anders: Er wurde für voll genommen, lebte sich aus vor allem in weiblicher Gesellschaft, …
Eines
Nachts kam er auf die "anrüchige" Idee, anderen auf der Autobahn helfen
zu wollen, als diese angefahren worden waren. Versteht sich, dass er
dafür bezahlen musste, ja fast sein …
Jetzt verlor er sein Elternhaus. Von seinem Vater - …
Auch
seine ehemalige Verlobte - von der er sich schon vor seinem Unfall
trennen musste - wollte ihn noch weiter in den Sog dieses Sumpfes
hinabstoßen. Zwar hatte sie den Kontakt mit ihm wieder aufgenommen und
er wünschte sich egal was passiert, sie zurückzubekommen - denn sie zu
lieben, kein Ende war je in Sicht. Nur, als sie ihn das erste Mal sah,
... Sparen wir uns eine nähere Beschreibung dazu. - Sie ist
Krankenschwester, ja, allerdings, aber deswegen ... die Illusion ist
gewichen.
Nach relativ kurzer Zeit hatte er es geschafft, wieder ohne Krücken zu laufen. Zwar war er Kandidat …
Und
jetzt? Er traut es sich immer noch, durch die Straßen zu gehen, und
das, obwohl sich bei ihm die Gleichgewichtsprobleme keineswegs verzogen
haben. Aber er hat sich im Griff. Und er wagt es sogar, den Leuten, die
ihm entgegenkommen, genau in die Augen zu sehen: Viele schauen ihm
zuerst ins Gesicht. "Hoi, da ist nichts, ich habe keine
zurückgebliebenen kosmetischen Schäden." Dann wandert ihr Blick zu
seinen Füßen. "Hach ja, meine Hosen, die auffallenden, oder ... was ist
es sonst?" Doch dann wird ihr Blick abweisend grinsend. Und er weiß:
"Aha, ich bin mal wieder als Besoffener erkannt worden." Andere bleiben
stehen, einige von denen kriegen Maulsperre und schütteln den Kopf,
oder tuscheln bei seinem Anblick mit den Nächsten. Oder es wird einfach
gelacht. Nu nu, der dämliche Besoffene.
Und was die Mädchen oder Frauen betrifft: Es ist nicht mehr …
Zweimal
hatte er auch schon eine zündende Idee: Er wollte sich endlich das
Leben nehmen. Das erste Mal wurde er davor bewahrt. Beim zweiten Mal
klappte es nicht, das Messer war zu stumpf
"Blödmann! Selbst dich umbringen kannst du nicht!"
Doch so ganz klammheimlich und intrigant und eine fiktive Pest heraufbeschwörend …
Waasaas?
Mitten
im Sommer. Deutsche auf Urlaub in Cran Canaria. Heiter,
beschwingt, locker, alles lassen sie an sich vorüberziehen, ohne es zu
beachten, ohne es zu durchschneiden, ohne es zu berühren; die
Lebenssonne, wiedermal genießen. Nein, nichts trüben kann diesen
Schein, Helios lacht, Regentropfen sind nicht in Sicht, das Wetter ist
wunderschön.
Am nächsten Morgen frühstücken, an die frische Luft,
wo Bienen sich verschlafen anblinzeln, wo ein Tagpfauenauge sich den
Tau von den Flügeln schüttelt, wo ein Kuckuck hofft, dass durch seinen
schmachtenden Ruf eine Kuckuckin angezogen wird. Verschlafen träumen,
ja, Morgenträume, ja, schwelgen in der Erinnerung an die letzte Nacht,
ja ...
Plötzlich: Wach auf. Unvermittelt, abrupt, auf einmal
"Waaasaas ist daaas??????????"
Ein Tisch, …
Klappe zu, Affe tot? Nein! Die Urlauber gedenken nicht, mit dem …
Die Urlauber zurück in Deutschland, …
Doch
halt! Eigentlich geht es hier doch um die Behinderten, nicht? Nur -
kein einziger von ihnen ist hier. Sind die etwa sprachlos? Stimmlos?
Haben den Maulkorb verpasst gekriegt? Sind sie nur noch Objekte, soviel
wert wie die Sklaven in der Antike? …
Der alte Mann
Wie
so oft sitze ich in der Volkssolidarität, esse Mittag. Niemand ist mehr
hier im Raum, nur noch ein alter Mann sitzt an seinem Tisch. Ihn habe
ich schon paarmal in einer Imbisstube gesehen, immer ein Bier trinkend.
Und auch hier tut er dies.
Ich betrachte ihn: Er ist ordentlich
angezogen, trägt ein kariertes Hemd, hat einen Pullover darüber
gezogen, ist mit einer braunen Hose bekleidet. Sauber sind seine
Sachen, man könnte meinen, er achtet auf sie.
Und doch sitzt er
immer allein. Nie sitzt jemand bei ihm, nie spricht jemand mit ihm, nie
spricht er mit jemandem. Doch stumm ist er nicht - immer wenn er den
Raum betritt, grüßt er.
Ich weiß nicht warum, aber heute beschließe
ich, ihn anzusprechen. Vielleicht auch, weil außer uns keiner mehr
anwesend ist, er sich deshalb nicht in Angst vor zu großen Rummel
versetzt gefühlt lassen braucht.
"Entschuldigung! Sie sind immer
allein. Ist das normal bei Ihnen?" Ich erwarte, jetzt die Trauerstory
zu hören, seine Frau sei verstorben vor sonst wie vielen Jahren, seine
beiden Kinder haben geheiratet und sind weggezogen, darum sieht er sie
ganz selten, seine Freunde seien auch alle verstorben oder jetzt
woanders wohnend, und er habe keinen Kontakt mehr zu irgendeinem
Menschen. Denn ungefähr so, wie er jetzt, saß ich vor drei Jahren auch
da, trank nur kein Bier.
Doch er schaut erstmal verdutzt rüber. Ist es scheinbar nicht mehr gewöhnt, dass ihn jemand anspricht.
"Kennen wir uns irgendwoher?", will er dann wissen.
"Direkt nicht. Aber ich habe Sie schon öfters in der Imbisstube auf der Bahnhofsstraße gesehen!"
"Aha!"
…
"Ich bin halt interessiert daran", wähle ich deshalb den diplomatischen Weg.
"Aha!", antwortet er wieder. Und trinkt sein Glas halb leer.
"Es
ist nämlich so: Ich war selber auch im Isolationssumpf, zwei Jahre
lang, weiß darum, wie beschissen man sich dort fühlt, und bin deswegen
vielleicht in der Lage dazu, anderen in dieser Situation zu helfen!"
"Ich bin gern allein!", …
Ich fühle mich in die Pflicht genommen, weitere Fragen zu stellen, weiß aber …
Der Fisch
Ein
Fisch schwimmt stets kurz unter der Wasseroberfläche in einem großen
Schwarm einsam seine monotonen Bahnen. Manchmal geht er ein Stück
runter, manchmal steigt er ein Stück. Doch das ist ein Muss! Er muss ja
z.B. auch mal Nahrung aufnehmen und sie auch wieder ausscheiden, er
muss vor den ihn bedrohenden Jägern fliehen. Aber er bleibt doch immer
auf einer Ebene, wechselt nie die Sphären, geht nie auf Erkundungstrip,
was er woanders erleben könnte. Und so verrinnt sein Leben in trister
Langeweile, die er jedoch nicht wahr nimmt, weil er ja nichts anderes
kennt.
Da braust ein Sturm auf. Alle versuchen, sich zu verstecken,
dem Instinkt gemäss auch er. Doch hinter seinem Riff fängt sein
Unterbewusstsein an, sich bemerkbar zu machen: "Warum versteckst du
dich eigentlich? Dir ist zwar gelehrt worden, der Sturm ist schädlich
für dein Leben, aber diese Erfahrung entstand vor Millionen von Jahren!
Sie muss nicht mehr stimmen! Aber du wirst das nie erfahren, wenn du
dich vor dem Sturm immer versteckst!" Und in ihm macht sich die
Erkenntnis breit, dass dies etwas sein könnte, was sein Leben
vielleicht aus der bisherigen Lethargie reißt.
Er schwimmt aus
seinem Versteck raus. Die anderen wollen ihn zwar zurückhalten - er
lässt sich aber nicht beirren: Zum ersten Mal in seinem Leben will er
bewusst etwas ganz Bestimmtes, und da darf ihn niemand aufhalten.
Eine
Woge, vom Sturm geschaffen, erfasst ihn. Er will weiter seine
angestrebte Richtung anschwimmen - wo sie hinführen soll, weiß er noch
nicht so genau -, doch diese Woge macht mit ihm, was sie will. Und es
kommen noch mehr Wogen hinzu, kämpfen darum, welche ihr lustigstes
Spiel mit ihm treiben kann. Dabei spülen sie ihn hoch an die Oberfläche
in einem Korridor, der aussieht, als wenn sie ihm Spalier stünden, ihm
für sein Ausbrechen aus der Normalität Ehre erweisen.
Doch trotzdem
bekommt der Fisch es mit der Angst zu tun, fühlt, wie sie in ihm
aufsteigt wie die Luftbläschen in einem mit Kohlensäure gefüllten
Behälter. Er muss …
Er beschaut sich das drohende Antlitz des
Sturmes: Dunkelschwarze, tiefhängende Wolken rasen über das Firmament,
Wind braust über die Region, woraus er ein Lied zu hören glaubt:
Fisch, Fisch, Fisch,
getan wurde dir gar …
…
Wenn er in der Langeweile herumschwimmt, umspielt das Wasser ihn in
eintönigem Kontakt. Aber hier? Als wenn die Gischt seine Augen
eliminieren wöllte; denn sie ist scharf, viel schärfer als des
Schwertfisches Waffe. Aber er benötigt doch seine Augen, irgendwie …