Abends.
Der vergehende Herbsttag hat sich vor ein paar Minuten für heute zum
letzten Mal in güldener Fülle gezeigt. Der laue Herbstwind wog den Tag
in den verdienten Abendschlaf. Die Dämmerung ist bereits
aktiv. Sie hüllt die Stadt ein, ihre ehrwürdigen Kirchtürme, den
gepflasterten Marktplatz, die geschäftigen Menschen, welche immer noch
in der Gewissheit, ihr Tagessoll noch nicht geschafft zu haben,
umhereilen läßt. Und sie hüllt ein zwielichtige Gestalten, die sich
soeben aufmachen, um ihr Untun zu vollbringen. Aber noch hallten sie
sich zurück, wollen den Mantel der Dunkelheit abwarten, der sie abrupt
auftauchen lässt und ihr mehr oder weniger heimliches Verschwinden vor
den Augen des unliebsamen Zuschauers verbirgt. Und noch rieselt ab und
an ein Blatt gen Boden, gen Erdboden, auf den schon bunten Teppich, der
einen Rotschimmer aufweist. Aber langsam schon erstirbt das Gegröle der
Hauptstraße, vereinzelt rollen dort nur noch die Zeichen der großen
zivilisierten Welt entlang, ein Mercedes kommt vorbeigeprescht, der in
weitem Abstand verfolgt wird von einem rollenden Bullauge eines Opel
Tigra. Die Einkaufs- und Verkaufsläden, die die Hauptstraße säumen,
haben schon die vergitterten Jalousien vorgezogen oder gewähren einen
Einblick, dessen stille Dunkelheit aufzeigt, was draußen bald zu
erwarten ist. Und was nicht zu erwarten ist.
Eine halbe Stunde
später. Sabine steigt soeben aus dem Bus aus, der unweit der
Hauptstraße gehalten hatte. Und obwohl die Haltestelle nah ...
Ihre
anmutig geformten schlanken Beine werden von einem ledernen schwarzen
Mini-Rock gesäumt, der bei ein bisschen Fantasie des Betrachters ihn
erahnen lässt, was darunter für Schönheiten verborgen sind. Zudem sind
sie umhüllt von ebenfalls schwarzen, doch schier transparenten
Strumpfhosen, die ihre Beine scheinbar ins Unendliche haben wachsen
lassen . Über dem sexy Gürtel, der mit einer großen gusseisernen
Schnalle versehen ist, trägt sie eine weiße Bluse mit umgeschlagenem
Kragen, an dem ein weißes Kordel befestigt ist, und die lange Ärmel
hat, aus denen die feingliedrigen ebenförmigen Hände herausschauen. Und
die auch weibliche Wölbungen umrundet, welche – wieder dem männlichen
Betrachter zugemünzt – ihm den Himmel auf Erden versprechen. Alles wird
überdeckt von einem schwarzen Anorak, der bis zum Gürtel reicht und
momentan bis zum verhüllten Bauchnabel geöffnet ist. Und der ihren
Geschmack beweist. Auch ist sie sich durchaus im Klaren darüber, dass
sie ein fein ziseliertes mit blau-grauen Mandelaugen versehenes und von
schwarzen lockigen Haaren, die bis zur Hälfte des Rücken reichen, dem
der griechischen Götter ähnliches Antlitz hat, das nur einen Makel
aufweist, nämlich die zu große Nase, die aber laut ihrem Freund ihrer
Rasse nur den letzten Schliff gebe. Ja, sie ist sich ihrer Wirkung auf
Männer vollkommen bewusst, nicht zuletzt dadurch, dass vor kurzem zu
ihr gesagt wurde, dass ihre Schönheit unfair sei, da die Männer sich
auf nichts anderes mehr konzentrieren können, wenn sie sie sähen. Aber
was soll´s? Schönheit ist vergänglich, äußere Schönheit, auch ist
äußere Schönheit relativ, immer vom Auge des Betrachters abhängig und
außerdem kann sie nix dafür, wobei es ihr aber keineswegs unlieb ist,
dass sie zu der Créme-de-la-Créme gehört.
Sie eilt durch eine dunkle Gasse, ...
...
sie hört Schritte. Schritte, die ihr nachgehen. Die ihr folgen. Ihr
nachfolgen. Sie verfolgen? Auf ihrem dezent geschminkten und damit
ihrer Schönheit die letzte Vollkommenheit gebendem Gesicht huschen
dunkle Schatten über die Wangen. Sie bleibt stehen. Spitzt ihre Ohren.
Die Schritte sind auch abgeebbt. Vorsichtig setzt sie wieder einen Fuß
vor den anderen. Ein zweiter Schritt kommt hinzu. Ein dritter. Ein
vierter. Die Abfolge wird schneller. Dann ... sie bleibt abrupt stehen.
Wieder. Spitzt die Ohren. Wieder. Und hört Schritte eines anderen.
Wieder. Hinter ihr. Näher? Bald auf ihr? Sie schaut sich um. Dort vorn.
Da ist jemand! Und er dreht ab. Blitzschnell. Er verschwindet in den
Büschen. Im Gebüsch. Das am Wegesrand steht. Und das nur darauf wartet,
dass sich jemand hinter ihm versteckt. Stille. Wieder. Der Betrieb ...
er ist nicht mehr weit. Die schützende Gestalt des Pförtners. Die
schützenden Hände der Kollegen. Die schützenden Umrisse des
Betriebsgebäudes. In das sie muss. Hinkommen muss. Jetzt. Sabine. Ein
uriges Brüllen ertönt.
Es donnert, ...